Libellenbesuch

Einmal wohnte ich in einer städtischen Dachwohnung mit kreisrundem Fenster. Es war Sommer und jeden Tag kam eine Libelle zu Gast. Mit ihrem schimmernden Panzer und den fast unsichtbaren Flügeln setzte sie sich an den Frühstückstisch zu mir und aß entweder Joghurtspeise oder auch mal eine Brötchenhälfte mit Cervelatwurst. Dabei schaute sie mich mit ihren Facettenaugen freundlich an und ich lächelte zurück. Ehrlich gesagt aß ich garnicht oft oder gerne Frühstück, aber hatte es mir dann, wie man sich leicht denken kann, zur Angewohnheit aus Gründen der Libellengesellschaft gemacht. Ihr wisst wahrscheinlich, was jetzt kommt. Eines Tages kam sie nicht mehr. Anfangs hoffte ich noch, sie wäre nur einige Tage unpässlich, aber aus Tagen wurden Wochen und traurig stand ich mit Libellenkostüm am Fenster und konnte nichts machen. Im Bett dachte ich, sie ist sicher glücklich mit einer anderen Libelle nach Madagaskar geflogen, wo sich Libellen wahrscheinlich gerne versammeln. Es geht ihr bestimmt gut, ihr ist ja nichts schlimmes passiert. Aber sie ist nicht hier. Und da musste ich bitterlich weinen. In der Nacht träumte ich, wie sie mit ihren Freundinnen und Freunden morgens durchs Fenster kommt und ich schnappe über vor Freude und lache und sage ich habe ja garnicht genug Cervelatwurst für alle und da lachen die Libellen auch und es geht irgendwie nurnoch um Cervelatwurst, was mich dann im Schlaf irgendwie ärgerte. Insgesamt war es aber dann praktisch wirklich passiert, nicht nur im Schlaf, und die Erleichterung, sie noch einmal wiedergesehen zu haben und dass sie jetzt gut aufgehoben ist in der großen Libellenfamilie, das war richtig gut. Einzige Sache das mit der Cervelatwurst, dass das anscheinend so wichtig war, musste nicht sein.