Kannibalenausweis

Ein Kannibale geht in ein Museum und legt, wie andere etwa Presse- oder Behindertenausweise, seinen Kannibalenausweis an der Kasse vor.

„Kannibalenausweis. Und was soll ich jetzt damit?!“
„Ich dachte Kannibalen haben vielleicht freien Eintritt“
„Nein. Ich finde das ehrlich gesagt auch nicht lustig.“
„Oh weh, ich wollte sie nicht verletzen oder verärgern und bitte um Entschuldigung. Hier also, 6 Euro, der volle Preis.“
„Danke. Ihre Jacke und ihre Tasche können Sie dort hinten in ein Schließfach einschließen. Die sind kostenlos.“
„Für Kannibalen?“
„Für alle…“

Miriam und Antonia

„Hallo Miriam, ich bin Antonia“
„Hallo.“
„Miriam, das ist aber ein schöner Name.“
„Geht.“
„Dooch… Miriam, wir wollen uns heute ein bisschen unterhalten. Deine Eltern haben mir erzählt, dass du ein sehr phantasiereiches und intelligentes Kind bist, das ist toll. Das ist ein großer Schatz! .. aber sie haben mir auch erzählt, dass Du manchmal so in deinen Träumen und Phantasien schwelgst, dass vieles zuhause liegenbleibt, zum Beispiel die Schularbeiten. Ist dir das auch aufgefallen?“
„Weiß nicht. Was heißt schwelgen?“
„Schwelgen? Ach das hab ich ja gerade gesagt, ja, in der Phantasie schwelgen, das heißt, mit viel Spaß und Energie und Freude sich in der Phantasiewelt aufhalten, das heißt, dass du dich dort oft richtig wohl fühlst und dir auch lange Zeit dafür nimmst. Das stimmt, oder?“
„Ja.“
„Ich finde das auch überhaupt nicht schlimm. Wie gesagt, das ist ganz toll, wenn man sich Geschichten ausdenken kann, sich an andere Orte träumen kann, in der Phantasie Abenteuer erleben kann. Das ist ganz toll. Man muss aber aufpassen, dass man darüber nicht vergisst, dass man gewisse Dinge, wie zum Beispiel Schularbeiten oder zuhause das Zimmer aufräumen oder auch mal der Mutter in der Küche helfen, dass man dafür gar keine Zeit mehr hat, das geht nicht. Und da fällt es dir glaube ich gerade schwer, eine gute Mischung zu finden kann das sein, Miriam?“
„Mich macht Zeit traurig.“
„Zeit macht dich traurig? Wie meinst du das.“
„Zeit ist die Verletzung, wenn wir beginnen, wie auf Schienen aneinander vorbeizufahren. Wenn die Tür langsam zu geht, wenn die Autotür aufgeht. Wenn wir uns umarmen sollten, sind wir auf Stühle geschraubt und halten an etwas fest, was uns aus den Händen gleitet. Zeit ist die Enttäuschung, dass nicht gesehen wird, wie still man stehen muss. Die Zeit ist das Feuer, in dem wir verbrennen und die Phantasie ist der Ozean, durch den wir mühelos gleiten und ganz tief unten leuchten seltsame Vorhangwesen. Zeit macht mich traurig, weil wir keinen Kreis bilden, in dem wir vor ihr sicher sind oder in der sie weniger wehtut. Darf ich die Augen zu machen und träumen, weil ich weinen muss?“
„Ja, Miriam. So lange du willst. Und ich bin hier und warte auf dich.“

Ernesto

„Stellen sie sich vor?“
„Hallo ich bin Ernesto“
(Gruppe im Chor) „Hallo Ernesto“
„Ernesto, was haben sie mitgebracht, warum sind die hier“
„Gericht hat gesagt ich muss“
„Ja, nein, das meinte ich nicht. Warum, was haben sie gemacht.“
„Na nichts.“
„Ernesto…“
(seufzt) …“also gut. Stehe im Laden…..15 Jahre kaufe ich Cräcker mit Pizzagewürz. Jetzt: keine da, nie mehr. Ich sage warum. Er: wollte keiner mehr wahrscheinlich. Ich sag wollte keiner was ich komme seit 15 Jahren und kaufe die….er: zuckt mit den Schultern. Lässt mich stehen wie ein Wurst Hans. Ich stehe 10 20 Minuten nur so da, Kopf wie taub.“
„Und dann?“
„…dann hab ich mir das Gemüsea vorgenommen.“
„Wie vorgenommen“
„Ein Gemüse nach dem anderen genommen…auf den Boden gelegt….und mit den Arbeitsschuhen zermatscht.“
„Und dann?“
„Kam Leiter und Geschrei und Polizei hier kommt gleich. Währenddessen hab ich noch die Tomaten zermatscht mit den Händen und die Gurken zerbrochen“
„Und dann wurden sie verhaftet.“
„Ja und dann Anzeige, Richter, alles“
„Und jetzt sind sie hier, weil wir darüber reden wollen, was sie…wie sie anders auf die Situation hätten reagieren können. Auf ihren Frust. Das etwas nicht da ist, was sie wollten. Auf das sie sich gefreut hatten. Die Enttäuschung. Was sie anders hätten machen können, damit umzugehen, als das Gemüse kaputt zu machen“
„Wird eh viel weggeworfen“
„Ernesto, darum geht es aber nicht. Das darf man ja nicht, das macht man ja nicht. Wie hätten sie anders darauf reagieren können, auf die Enttäuschung, als etwas zu machen, was man nicht darf. “
„….eine rauchen.“
„…. zum Beispiel, ja.“
„Durft ich aber auch nicht.“
„Was. Ach im Laden?“
„Ja.“
„Ja das darf man ja auch nicht. Deshalb frage ich ja, was hätten sie machen können… “
„Die Cräcker kaufen. “
„…die gab es aber nicht.“
„Warum.“
„Darum geht es nicht.“
„Doch.“
„Nein, sie müssen sich abfinden, dass es die Cräcker nicht mehr gibt, ohne gewalttätig zu werden.“
(steht auf)
„Wo wollen sie hin?“
„Wieder wütend, draußen Gemüsesstand gesehen, ich zerbreche wieder Gurken“
„Ernesto, nein, das dürfen sie nicht. “
„Ich zahle vorher. 20 Euro. Kosten 50 Cent. Kann ich 40 Gurken zerbrechen.“
(einer aus der Gruppe) „Das geht doch. “
„Ernesto, nein, sie müssen doch… “
„Keine Cräcker = Gemüse reif.“ (geht)
„…. was soll ich da machen. -… wer versteht, warum das kein gutes Verhalten von Ernesto ist? “
(keiner sagt was)

Tischgebet für Satan

Familie, Abendbrottisch

„Mama, können wir heute mal ein Tischgebet für Satan sprechen?“
„Tobi! Wie kommst du auf so einen Unsinn?“
„Na Belial und sein Vater sind bei den Satanisten und…“
„Ich hab dir schonmal gesagt, dass ich nicht möchte, dass du was mit diesem Belial unternimmst“
„Wir sitzen in Kunst nebeneinander, ich hab mir das nicht ausgesucht“
„Dann frag den Lehrer, ob du woanders sitzen darfst.“
„Aber er ist nett.“
„Er ist seltsam und seine Familie ist unmöglich, es gibt sicher viele deiner Mitschüler, die noch netter sind“
„Aber von denen hat mir noch nie jemand einen Dolch geschenkt“ (zückt einen großen, rubinbesetzten Dolch)
„TOBIAS!!! Gib mir den, Sofort“
„Och man“ (gibt den Dolch ab)
„Das werde ich der Schulleitung melden. Sowas, ich fasse es nicht. In der Schule Waffen verteilen und zu Satan beten, ja wo sind wir denn“
„Der Marcel hatte mal eine Pistole dabei und gesagt sein Vater erschießt damit im Dienst Zigeuner“
„Das war beim Eltern-Kinder-Tag und Marcels Vater war dabei, das ist etwas völlig anderes, außerdem hat Marcels Vater klargestellt, dass sie nur schießen, wenn die Zigeuner einbrechen und klauen“
„Aber Belial…“
„Mit Belial ist jetzt Schluss. Werde dafür sorgen, dass er von der Schule fliegt.“
(leise) „aber nicht wenn er dich in ein Opossum verwandelt wie unsern Sportlehrer“
„Was?“
„NICHTS“

Ich bin immer ich

Eine Person betritt ein verwinkeltes Trödel-Antiquariat und findet nach einer Weile den Besitzer, einen kleinen Herrn in einem Ohrensessel sitzen. „Entschuldigen sie. Darf ich sie etwas fragen“ – Der Herr nickt wenig begeistert. „Und zwar bin ich auf der Suche nach einem Fledermausmantel, so einen, den Atahualpa mal besessen haben soll.“ Das Gesicht des Herrn hellt sich auf. „Endlich mal eine interessante Frage, danke dafür. Aber nein, ich habe natürlich keinen Fledermausmantel.“ „Ach, wie bedauerlich. Da kann man nichts machen, ich empfehle mich.“ „Gut, auf Wiedersehen.“ Als die Person den Laden verlassen hat, betritt der Herr eine Garderobe, öffnet einen alten Schrank und zieht sich einen bizarren Mantel aus vielen kleinen Fledermausfellen über. Und mit einer seltsamen Stimme sagt er „Ich bin immer ich.“

Urlaub in Schweden

„Habt ihr schon überlegt, wohin ihr im Sommer in Urlaub fahrt?“
„Ja, wir haben uns für Schweden entschieden
„Schweden! Joa…bisschen langweilig, aber immer wieder schön“
“ – wieso langweilig?!“
„Ach, das hab ich nur so blöd dahergesagt, ist wunderschön“
„Thomas, was ist an Schweden langweilig?“
„Meine Güte, nichts, einfach ein blöder Spruch. Ich fahr auch gerne nach Schweden.“
„Thomas…jetzt sag es einfach. Irgendwas…“
„Nee das wird mir jetzt zu blöd“ (steht auf)
(lauter) „Irgendwas meintest du doch, jetzt steh auch dazu und sag es“
„So ein Quatsch“ (nimmt seine Jacke, geht zur Haustür, Treppe runter in den Hof)
(reißt Fenster auf) „WAS IST AN SCHWEDEN LANGWEILIG DU ARSCHLOCH MENSCH“
(aus einer anderen Etage) „RUHE!!!!!!!“
(Thomas entfernt sich eiligen Schrittes)
„ARSCHLOCH!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!“

Unversöhnlich werden

Mit dem „schlecht Vorhandenen sich nicht abfinden“ können, das, sagt Bloch, hat das Hoffen im Kern. Sich nicht abfinden, das hieß für mich in den letzten Jahren in Familie wie Freundes- und Bekanntenkreis, größtenteils außerhalb der „Filterbude“, schmerzliche Konflikte, die ich als harmoniebedürftiger Mensch lange scheute, unversöhnlich zu führen, das heißt, mit Menschen nach unmissverständlicher Aussprache und dem Erkennen und Anerkennen großer Differenzen zu brechen oder zumindest eine klare Distanz aufzubauen. Das schlecht Vorhandene ist vor allem die bewusste Verletzung anderer Menschen und das Gerücht über diese. Das schlecht Vorhandene ist eine Heimat, die der Albtraum jener ist, die, selbst wenn sie brutale, paternalistische, sexistische und nationalistische Gesellschaftsnormen erfüllen und sich an Produktivität messen lassen, Fremde oder Bürger zweiter Klasse bleiben müssen. Meine Hoffnung ist nicht der flüchtige Tagtraum, dass plötzlich Mitgefühl, Empathie, Gerechtigkeitsempfinden und das Anerkennen und Reflektieren eigener Ängste über all meine Mitbürger kommen. Ich träume viel, aber das nicht. Meine Hoffnung ist jedoch, dass Menschen mit gutem und verständigem Herzen unversöhnlich werden und den Federhandschuh aufnehmen, um das, an das wir vielleicht nicht mehr glauben können, aber auf das wir hoffen müssen und wollen, weil wir uns nicht abfinden können, selbst in die Hand zu nehmen.

Sonntage

Sitze in einem einfachen, aber sehr bequemen Lehnsessel und höre den Goldenen Hahn von Rimski Korsakow, da kommt mit einem Mal ich selbst in klein, etwa opossumgroß, ins Zimmer rein und beginne auf einem entsprechend kleinen Herd Popcorn zuzubereiten. Traue mich nicht, mich anzusprechen, aber ich scheine zu wissen, was ich tue. Aus Verlegenheit schlage ich lieber in einem Buch nach, was auf einer bestimmten Seite steht. Ahja. Im Augenwinkel ziehe ich mit dem fertigen, herrlich duftenden Popcorn quasi ab. Stelle mich an die Fensterfront und werde nachdenklich. So klein habe ich mich noch nie gesehen. Hatte auch eine freche Hose an, freche Farbe. Den Herd muss ich natürlich wegmachen. Draußen fahren sieben gelbe Wesen auf einem Septem (Tandem für sieben) in einen gefährlichen Waldweg hinein. Sonntage sind und bleiben die furchtbarsten Tage.